Merz hört mit – Last exit Canossa

Fulda/ Gießen. Orte haben uns in dieser Kolumne schon häufiger beschäftigt. Wir waren vor Ort im Nirgendwo, auf dem Prüfstand und dem Verschiebebahnhof, auf allen schiefen Ebenen und letztens auch in Mekka. Aber nach Canossa gehen wir nicht! Es ist dies vielleicht die einzige Maxime, die einzige Doktrin, das einzige Dogma, die bzw. das wir mit Fürst Bismarck, dem Erfinder des Herings und des dazugehörigen Doppelkorns, gemeinsam haben.

Jener fuhr gerne nach Potsdam und nach Versailles. Schon weniger gerne fuhr er in den Sachsenwald, denn als er das tun musste, hatte er sich vorher von seinem allerhöchsten Kaiser und König eine gehörige Abfuhr geholt, welche wohl nur durch einen Gang nach Canossa zu vermeiden gewesen wäre – einen Gang den er schon Jahrzehnte vorher kategorisch abgelehnt hatte und den jetzt anzutreten er weder Lust noch eine Fahrkarte hatte. Einmal hatte ein französischer Kaiser versucht, ihn zu einem Gang nach Canossa zu zwingen und der hatte gesehen was er davon hatte.

Seitdem ist Canossa der unbesuchteste, man könnte auch sagen: der am wenigsten heimgesuchte, ganz sicher einer der unbeliebtesten Orte der deutschen Politik. Schon Hitler ging lieber in den Keller seiner Reichskanzlei als zur Burg Canossa, wobei freilich zu sagen ist, dass ihn das sicher von den Millionen Anderer unterschied, die gewiss lieber nach Italien als zu den Höllen gefahren wären, in die er sie geschickt hatte. Aber das führt uns zu weit ab vom Thema.

Näher an Canossa als Potsdam liegt das schöne österreichische Bundesland Kärnten, gegen das eigentlich nichts vorliegt als dass es sich eine Weile von jenem Jörg Haider hat regieren lassen, der zwar nicht nach Canossa ging, dafür aber mit Karacho gegen eine Wand raste unter Zurücklassen eines Haufen Schulden, derentwegen nun ganz Kärnten nach Canossa gehen muss, eine für ein ganzes Land ebenso unerfreuliche wie schwer darstellende Übung, die deswegen eben auch ohne Ergebnis endete, wie die Wiener Presse am 23. April 2015 meldete. Dass Canossa in diesem Fall nicht in Italien sondern in Wien lag, machte die Sache für Kärnten nicht eben leichter, da es sich aus dessen Perspektive bei Wien um eine unerfreuliche, überdies vom Türken besetzte Kombination aus Sodom, Gomorrha und Waterloo handelt.

Gar nicht ausmalen mag man sich das Gefühlsleben von Peer „hätte-hätte-Fahrradkette“ Steinbrück, als er sich wegen eines minderen Falls von Kommunikationsversagen – es ging um die Frage, von wem welches Immobilienunternehmen auf welchen Prüfstand gestellt werden darf – nach Canossa begeben musste, ein Canossa, das zu allem Überdruss kein Ort war, sondern durch Guido Westerwelle auf rätselhafte Weise fleischgeworden war. (Handelsblatt, 20. Oktober 2008)

Viel weiter weg ist dagegen das Canossa, zu dem sich der wegen chronischen Prüfstandsmissbrauchs von den Auto-Päpsten in den Kirchenbann getane US-amerikanische Volkswagen-Chef Michael Horn gehen musste. Die Burg Canossa war in diesem Fall der US-Kongress, der allerdings dem Petersdom schon recht ähnlich sieht , was den Charakter seiner – im Gegensatz zu jener Heinrichs IV. vergeblich gebliebenen – Bussübung symbolkräftig unterstreicht. (Der Aktionär, 9. Oktober 2015) Die VW-Aktie brennt daher nach wie vor im durch besonders abgasstarke Dieselmotoren unterhaltenen Fegefeuer.

Da waren vorher auch schon die amerikanischen Kollegen von General Motors, Ford und Chrysler gewesen, die ebenfalls den Gang zum Washington Canossa hatten antreten müssen. „Von Canossa kann keine Rede sein, soll hinwiederum Joschka Fischer gesagt haben, als er – nach vollzogener Weigerung zur Teilnahme am Irak-Krieg – nach ebendort fuhr. Ähnliches, allerdings bezogen auf München, ist von Edmund Stoiber überliefert, Als er nach dem Scheitern seiner Superminister-Träume nach dort zurückkehrte. Rätselhaft geblieben ist die Aussage „Wenn Real nicht kommt, dann gibt’s Canossa.“ Sie stammt von Uli Hoeneß, der freilich schon mehrere Canossas (Canossae?) Hinter sich hat.

Dass auch innerkirchlicher Dissens zu Canossa-Gängen führen kann, zeigt sich an der Weigerung des sonst doch so friedfertigen Papstes Franziskus, den widerborstigen slowakischen Erzbischof von Trnava, den derzeit im Redemptoristenkloster von Bussolungo bei Verona, also unweit von Canossa, einsitzenden Robert Bezak zu empfangen, bevor dieser sich dahin begeben habe. Was aber sind all diese Prüfungen gegen das Weh und Ach, das Land und Kommunen Baden-Württemberg befiel, als sie nach einem „Canossagang zum Kartellamt“ (Stuttgarter Nachrichten.de, 26. Juni 2014) im „Streit um den Holzverkauf“ mit der Buße belegt wurden, ihre „forstwirtschaftlichen Beziehungen zu entflechten“, und wer zählt die Tränen, die vergossen wurden, als die niddataler SPD ihre politischen Konkurrenten von CDU, Grünen und FDP wegen deren Versagens beim Breitbandausbau im Ort zum Canossagang zur – wer würde es glauben? – Telekom aufforderte? Canossa, sehen wir den historischen Tatsachen ins Gesicht, Canossa ist überall! +++ fuldainfo | gerhard merz