Merz hört mit – Querdenker

Der Homo Talkshowensis-Plasbergensis

Gießen/ Fulda. Eine Theorie der menschlichen Phylogenese besagt, dass der Mensch sich erst durch das Denken (und das Sprechen) vom Tier unterscheide, erst dadurch wirklich zum Menschen wurde. Diese These darf als überholt bezeichnet werden. Spätestens seit sich der Mensch vom Höhlen- zum Talkshow-Bewohner weiter- oder – treffender – fortentwickelt hat, genügt das Denken als solches nicht mehr. Der Homo Talkshowensis-Plasbergensis zeichnet sich durch nichts anderes aus als durch: das Querdenken! Gleichzeitig entwickelte er eine dieser Form der geistigen Arbeit angepasste neuartige Form der Kommunikation, die in der Forschung in Analogie zum Querdenken als „Kreuz-und-quer-Sprechen“ bezeichnet wird und die manche Forscher auch dazu verleitet hat, die Gattung mit dem Namen Homo Quasselensis zu versehen.

Um nun auf den Querdenker zurückzukommen, so weiß keiner so recht, wann er zuerst mitteleuropäischen Boden betrat. „Nachdem Querdenken im 19. Jahrhundert eher Hilflosigkeit bedeutete, findet sich die derzeit erste Erwähnung eines positiv belegten Begriffes Querdenker 1915 im Zusammenhang mit der ‚Riesenphantasie‘ Münchhausens.“ (Quelle: WIKIPEDIA). Es ist also das 19.Jahrhundert gewissermaßen das Holozän des Querdenkers oder auch seine Neandertaler-Periode, bevor er dann im frühen 20. Jahrhundert seine Karriere als „lateraler Denker“ –wie der Fachbegriff lautet –begann, eine Karriere, die bis heute zu einem wahren Triumphzug geworden ist, gegen den Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel ein harmloser Abendspaziergang ist.
Frühe Versionen des Querdenkers wurden von Medienarchäologen im Oberbayerischen ausgegraben und sind heute unter den Gattungsbegriffen Homo Schönhuberensis bzw. Gauweilerensis bekannt. Einige Forscher lehnen die Oberbayern-Hypothese aber ab und verweisen auf Ursprünge im Nahen Osten. Ob freilich der Scholl-Latour- und der Konzelmann-Mensch überhaupt in die Reihe der denkenden Weise eingeordnet werden können, ist und bleibt in der Fachwelt umstritten.
Seinen endgültigen Lebensraum fand der Querdenker jedenfalls in den ab Mitte der 70er Jahre sich ausbreitenden Talkshow-Biotopen. Ob es sich bei deren Vordringen um eine frühe Folge des Klimawandels handelt, ist noch zu wenig erforscht. Allerdings wird befürchtet, dass die von diesen Biotopen ausgehende heiße Luft sehr wohl ihrerseits schädliche Folgen für das politische Klima haben könnte.

In Reinkultur erschien der „Querdenker“ am 15. Dezember 2015 im sog. „Maischberger-Biotop“ als „Quartett der Querdenker“, in der Besetzung Heiner Geißler, Daniel Cohn-Bendit, Alice Schwarzer und Thomas Gottschalk. Die Überraschung an der Besetzung war sicher Thomas Gottschalk, von dem bisher gar nicht bekannt gewesen war, dass er überhaupt denken kann. Vielmehr hatten anthropologische Studien des Showmaster-Man ergeben, dass er nicht multitaskingfähig ist, als z.B. nicht gleichzeitig Haribo kauen und geradeaus laufen kann.
Die drei anderen Couch-Potatoes allerdings hatten bereits eine beachtliche Karriere als Urgesteine hinter sich (vgl. dazu „Urgesteine in Gemangschelasche“), in deren Verkauf sie hinreichend bewiesen hatten, dass sie gegen Bezahlung oder gegen mediale Aufmerksamkeit bereit waren, alles zu denken was gebraucht wurde.

2015 war überhaupt das Jahr, in dem die Querdenker-Kultur zu hoher Blüte und auch wieder zu ihren vermuteten oberbayerischen Wurzeln fand: Fußball-Weltmeister Thomas Müller vom FC Bayern München, ein Verein notorischer Querdenker wie Franz Beckenbauer, Uli Hoeness, Kalle Rummenigge und Katsche Schwarzenbeck erhielt den Querdenker-Preis 2015 „für sein couragiertes Auftreten, sein Charisma und seine intelligente Kommunikation im deutschen und internationalen Fußball“. Also wohl vor allem dafür dass er sich mit seinen Mitkickern überhaupt irgendwie verständigen kann. Auch habe Müller „den Mut gezeigt, neue Wege zu gehen“, womit wahrscheinlich die im Fußball legendären „weiten Wege“ gemeint waren. Müller sei aber gewarnt: Vom Querdenken zum Querpass ist oft nur ein kleiner Schritt.

Müller erhielt den Preis übrigens zusammen mit, ja genau: Thomas Gottschalk. Frühere Preisträger waren u.a. Helmut „Immer-an-die-Leser-denken“ Markwort, Peter Maffay, Maria Furtwängler, Günter Jauch und Till Schweiger(ja, wirklich!). Woraus schlussfolgert, dass man gar nicht so quer denken kann, wie’s schließlich kommt!
Was freilich ist all das gegen dies: „Waltraut Lang erreichte mit ihrer Idee ‚Sprühnebel-Körpercreme – gleich in der Dusche!‘ den 3. Platz beim Querdenker-Ideenwettbewerb zum Thema “Hautpflege der Zukunft” von Beiersdorf.“ (http://www.querdenker.de/boxen/rent-a-querdenker_2515?SID=6417f70e35b64d...) Daran könnte sich Heiner Geißler mal ein Beispiel nehmen!

PS: „Übrigens ist es noch sehr die Frage, ob das Denken nicht erst hinter dem Seyn hinterdrein folgt, ob nicht alles Denken bloss ein Nachdenken ist, wenigstens müssen wir bei der Schöpfung der Welt wohl von unserem armseligen Kreuz- und Querdenken und Spekulieren abstrahiren und von Gott nicht glauben, er habe erst lange bei sich selber nachgedacht, wie er die Welt wohl machen würde.“ (Wolfgang Menzel’s Literaturblatt, Paul Neff (1836) S. 166). +++ fuldainfo | gerhard merz